Roger Berhalter (Text), Sara Spirig (Bilder)

Hackerspace Odenwilusenz in Beringen SH
Technik schlachten im Hackerparadies

Im schaffhausischen Beringen hat der Verein Odenwilusenz eine grüne Wiese in ein Hackerparadies verwandelt. In ihrer Tüftlerhöhle nehmen die Hacker Dinge auseinander, um sie zu verstehen und zu verbessern. Dabei kommt, zum Beispiel, ein Waffelroboter heraus.  

Von aussen sieht Odenwilusenz  nicht wie ein Hackerspace aus, sondern eher wie ein kleines, feines Open Air. Wohnwagen und Barackengebäude sind auf der 1500 Quadratmeter grossen Wiese verteilt, mittendrin steht ein Grill, daneben brutzelt eine Fritteuse. Jetzt, im Frühling, spriesst und blüht es auf dem Gelände. Tony Stamm parkiert seinen Traktorrasenmäher und steigt ab.

Der 37-Jährige ist selbständiger IT-Fachmann und die treibende Kraft des Hackerspaces in Beringen, einer 5000-Einwohner-Gemeinde gleich neben der Stadt Schaffhausen. Tony ist auch Präsident des Vereins Odenwilusenz mit 30 Mitgliedern, die hier im Industriegebiet am Dorfrand ein Paradies für Tüftler erschaffen haben. Tony zeigt auf ein selbstgezimmertes Baumhaus, das auf vier Stelzen über der Wiese thront: «Da oben gibt es WLAN und Strom.»

Baumhaus mit WLAN.
Der Hackerspace Odenwilusenz von aussen.

Doch das Entscheidende passiert hier nicht draussen, sondern drinnen, und von innen sieht der Hackerspace genau so aus, wie man sich einen Hackerspace vorstellt: Eine kreative Tüftlerhöhle voller Technik. Schon am Eingang der Baracke begrüsst den Besucher ein Industrieroboter, von dessen Arm herab die bekannte Guy-Fawkes -Maske grinst. 

Auf einem Tisch lauert eine sechsbeinige Roboterspinne, daneben liegt ein 3D-gedruckter Game Boy. Eine Wand besteht fast vollständig aus blauen Plastikboxen, gefüllt mit unzähligen Utensilien, Ersatzteilen und Werkzeug.

Aus den Boxen dröhnt dumpfer Synth-Wave aus den 1980ern, der Kühlschrank ist voller koffeinhaltiger Getränke, im Serverschrank hängt ein metallener Jesus, in einer Ecke wartet eine Omelettenmaschine auf ihren nächsten Einsatz. Überall witzige, liebevolle Details – man kann sich an diesem Hackerspace kaum sattsehen.

«Wir haben da eine Regel: Was man an der Decke befestigen kann, stört niemanden», sagt Tony. «Die Tische sollten aber frei bleiben für Projekte.»

Über seinem Kopf hängt eine Xbox sowie ein jahrzehntealter Röhrenbeamer. Mehrere schrankhohe Elemente mit Reglern und farbigen Lichtern stehen an den Wänden – sie könnten vom Set von «Raumschiff Enterprise» stammen. «Die haben wir mal für eine LAN-Party in einer Turnhalle gebaut», sagt Tony. «Als Deko, damit es dort weniger wie eine Turnhalle aussah.»

Do it yourself wird hier offensichtlich gross geschrieben und auf die Spitze getrieben, denn sogar ihren Space haben die Hacker selber zusammengeschraubt und eigenhändig erschlossen. Bei der Baracke handelt es sich um eine ehemalige Volg-Filiale, die sie gratis übernahmen und 2017 mit dem Traktor nach Beringen transportierten. Das Kiesfundament haben sie selber aufgeschüttet, Strom-, Internet- und Abwasserleitung haben sie eigenhändig verlegt und so die Wiese in ein gut erschlossenes Areal verwandelt.

Im Hackerspace Odenwilusenz – der Name hat übrigens keine tiefere Bedeutung, sondern basiert auf einer zufälligen Buchstabenkombination – ist vieles möglich. Hier finden zum Beispiel DOS-Tage, LAN-Parties und Vortragsabende statt. Heute ist, wie jeden Mittwochabend, «Open Hackerspace» , deshalb ist Tony Stamm nicht allein. 

Ein paar Vereinskollegen fläzen sich in den Stühlen und fachsimpeln, vertiefen sich zwischendurch in ihre Bildschirme oder schrauben gemeinsam an Hardware. Ein Jugendlicher hantiert hektisch mit einem Tablet und demontiert verschiedene Hoverboards. «Wir konnten zehn Stück günstig von einem Händler ersteigern», sagt Tony. «Aus seiner Sicht waren sie defekt, doch da hat’s immer noch gute Motoren drin, die wir schlachten können.»

Mit «Schlachten» bezeichnet Tony das, was die Hacker hier in Beringen tun. Sie nehmen Dinge auseinander, versuchen sie zu verstehen, und setzen sie in neuer Form wieder zusammen. Es geht nicht darum, in fremde Computer einzudringen, IT-Sicherheitssysteme zu umgehen und Schaden anzurichten, nein: Die Mitglieder von Odenwilusenz verstehen Hacken als etwas Positives und Kreatives. Tony: «Ein Hacker ist jemand, der einen spielerischen Umgang mit Technik jeglicher Art hat.» 

Ein Tüftler, der etwas Gegebenes nimmt, es verändert und verbessert, und das neu erworbene Wissen anderen zur Verfügung stellt. Bei diesem Hacken geht es ums Selbermachen und um Unabhängigkeit. Darum, zu verstehen, zu hinterfragen, einander zu helfen und nicht zuletzt: Spass zu haben!

Ein gutes Beispiel ist der Waffelroboter. Tony hat das alte Waffeleisen seiner Oma in einer Konstruktion verschraubt, mit Motoren bestückt und mit einer Steuerplatine ausgestattet. Nun funktioniert die Waffelproduktion automatisch: Von einem Trichter zuoberst fliesst der Teig dosiert in das Waffeleisen, wird dort gebacken und schliesslich unten auf den Teller gekippt. Im Freifach Robotik hat Tony einige Sekundarschüler mittüfteln lassen; sie konnten ihr eigenes Waffelrezept programmieren und den Roboter damit steuern.

Tüftlercamps und Jugendcomputerclub

Solche Bildung und Jugendförderung ist Tony Stamm wichtig. «Als Kind freute ich mich immer, wenn mir Erwachsene etwas zeigten und mir weiterhalfen.» Jetzt ist er selber der Erwachsene, der den Kleinen weiterhilft. Regelmässig organisiert er Tüftlerwochenenden für Jugendliche unter dem Titel «Jugend Hackt» , und 2010 hat er den Jugendcomputerclub gegründet, um seine Faszination für Technik an die Jungen weiterzugeben. Schöner Nebeneffekt dieses Engagements: Der Verein Odenwilusenz hat keine Nachwuchsprobleme, weil immer wieder Junge den Weg ins Hackerparadies finden. 

So ist in Beringen in den vergangenen Jahren eine verschworene Gemeinschaft entstanden. Und so bald gehen die Hacker hier nicht mehr weg: Für 25 Jahre haben sie das Areal von der Gemeinde im Baurecht erhalten. Der nächste grössere Event ist schon in Planung: Vom 2.-4. September 2022 findet das «Odenwilusenz Sommerfest» statt. Ein dreitägiges Tüftlercamp, bei dem man ein eigenes Projekt verfolgen und unter freiem Himmel zelten kann. So wird der Hackerspace Odenwilusenz also doch noch zum kleinen, feinen Open Air.

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